Closer Than Ever
- Krissy Dorn
- vor 3 Tagen
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Achterbahnfahrt der Gefühle
Kritik von Rolf-Rüdiger Hamacher in musical-today.de
Die selten gespielte Song-Revue „Closer Than Ever“ erzählt viele kleine Geschichten

Aus einem einstündigen Kabarettabend im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village entstand das Musical „Closer Than Ever“ von David Shire (Musik) und Richard Maltby, Jr. (Liedtexte). 1989 wurde es beim Williamstown Theatre Festival in Massachusetts uraufgeführt, anschließend eroberte es den Off-Broadway. Die deutsche Erstaufführung fand 2010 in Hamburg statt, danach folgten nur noch Gelsenkirchen (2011) und Hildesheim (2017) – bis jetzt, als sich Frank Oppermann, der rührige Intendant des Kleinen Theaters Bad Godesberg, an dieses Juwel der Musicalgeschichte erinnerte.
„Jewel Box Musical Theater“ heißt auch die in den Niederlanden und in Köln beheimatete Theatertruppe, die nach der Premiere in unserem Nachbarland nach Bonn gekommen ist und – wie im vergangenen Jahr mit der fröhlichen Musical-Revue „Starting Here, Starting Now“ des gleichen Autorenpaares – wieder einen Hauch von Broadway an den Rhein bringt. Neu im Gepäck haben das vorjährige Trio Krissy Dorn (Sopran), John Rinaldi (Tenor) und Merel Zeeman (Mezzosopran) den Kölner Musicaldarsteller Mariano Skroce (Bariton). Und das sei vorweggesagt: Ihre wohltemperierten Stimmen ergänzen sich wunderbar. Auch das Kreativteam mit Regisseurin Heike Werntgen, dem musikalischen Leiter Frans Heemskerk und Pianist Maarten Helsloot ist wieder mit von der Partie.

Und so erlebt man vier namenlose Freunde, die sich in einer unbekannten Stadt in der Wohnung ihrer frisch geschiedenen Kommilitonin zum 25-jährigen Klassentreffen zusammenfinden. Im Hintergrund des spärlichen Bühnenbildes – schließlich muss man ja bei dieser als Open-Air geplanten Veranstaltung bei einem Wolkenbruch schnell ins benachbarte Theater umziehen – hängen an einer Wäscheleine Fotos ehemaliger Freunde, Freundinnen und Lebensabschnitts-Partner. Ab geht in 23 Songs die Achterbahnfahrt der Gefühle von ausgelassen über gelangweilt, genervt, verträumt bis hin zu wütend und zynisch. Dargeboten als Solo, Duett, Terzett und Quartett, immer mit emphatischer Verve begleitet von Maarten Helsloots Tastenkünsten. Dabei spannt sich der musikalische Bogen von romantischen Musicalballaden über Jazz bis hin zu Fandango-Klängen und 70er-Jahre-Discosound.

Das Publikum taucht ein in die herzzerreißenden Emotionen eines Mannes, der seine unerwiderte Liebe beklagt, während diese sich zu einem Mann hingezogen fühlt, der gerade sein Coming-out hat („She Loves Me Not“). Es gibt eine urkomische Abhandlung über das Geschlechtsverhalten von Menschen und Tieren („The Bear, The Tiger, The Hamster and The Mole“) oder sexy Songs wie „Miss Byrd“, bei dem Merel Zeeman ihre clownesken Qualitäten ausleben kann. Und natürlich jede Menge Midlife-Crisis und Beziehungsstrapazen – bis sich mit dem Finale neue, hoffnungsvolle Wege öffnen: „Closer Than Ever“.
Das unter der präzisen Schauspielführung von Heike Werntgen spielwütig auftrumpfende Ensemble lädt durch sein authentisches Spiel immer wieder ein, sich mit den Charakteren und ihren Problemen zu identifizieren. Da spinnt man dann selber den fehlenden roten (Handlungs-)Faden und gibt sich ganz den wunderbaren Songs hin. So verkraftet man auch den kleinen Wermutstropfen, der in diesen musiCalischen Freudenbecher fällt: Deutsche Übertitel zur englisch gesungenen Aufführung würden sicherlich noch mehr Zuschauer anlocken.
Musikalische Leitung: Frans Heemskerk • Mit: Merel Zeeman, Krissy Dorn, John Rinaldi, Mariano Skroce • Piano: Maarten Helsloot
Aufmacherfoto: Patric Prager – die Prager Botschaf
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