Rolf-Rüdiger Hamacher in "musicals" über Starting Here Starting Now
Wer kennt nicht den Spruch: "Stell dir vor, es ist Krieg – und keiner geht hin!" In der Musical-Diaspora Köln ("außer Musical Dome nicht viel gewesen") konnte man sich im April über die kölsche Variante amüsieren oder einfach nur verwundert den Kopf schütteln: "Da kommt der Broadway in die Domstadt – und keiner erfährt es!" Zwei kleine "Zimmertheater" hatten bei der niederländisch-deutsch-amerikanischen Jewel Box Musical Theater Company mit der Off- Broadway-Musicalrevue 'Starting Here, Starting Now' von Richard Maltby Jr. und David Shire eine deutsche Erstaufführung eingekauft – und offensichtlich nur ihre Nachbarn informiert. Die Zeitungen blieben stumm und das Kölner Publikum außen vor. Erst als das Stück für drei Aufführungen ins benachbarte Bonn zog, regte sich dank des umtriebigen Intendanten des Kleinen Theaters Bad Godesberg, Frank Oppermann, der "Blätterwald". Nach dem Erfolg auf seiner Sommer-Freilichtbühne beschert er dem (Kölner) Musicalfan nun die Möglichkeit, die Revue am 14. September und am 14. Dezember – dann allerdings im festen Theatersaal – noch einmal oder erstmals zu genießen.
Mit 'Starting Here, Starting Now' lernt man ein Komponisten/Liedtexter-Duo kennen, das immer noch im Schatten von Broadway-Ikonen wie Rodgers & Hammerstein oder Kander & Ebb steht. Lediglich ihre beiden Musicals 'Baby' (1983) und das auf dem gleichnamigen Tom-Hanks-Film basierende 'Big' (1996) machten sie einem breiteren Publikum bekannt. Das deutsch-sprachige Publikum erreichte aber nur ihre dialoglose Show 'Closer Than Ever' (1989). 'Starting Here, Starting Now' brachte es 1977 auf immerhin 120 Vorstellungen, das original Cast-Album wurde für einen Grammy Award nominiert. Ein beachtlicher Erfolg für eine von drei Musical-Darsteller*innen und vier Musikern gestemmte Revue. Und die reiht nicht einfach beliebige Songs von Maltby & Shire aneinander, sondern erzählt mit jedem Lied ein kleines Beziehungsdrama aus verschiedenen Perspektiven.
Die inhaltliche und musikalische Qualität der Songs zeigt sich nicht nur daran, dass Barbra Streisand schon früh einige (u.a. "Autumn" und den Titelsong) in ihr Repertoire aufgenommen und in ihren beliebten TV-Specials promotet hat. Auch Absolvent*innen und Lehrende an Musical-Akademien greifen zu Präsentations- bzw. Übungszwecken gern auf die unterschiedliche musikalische Facetten und Schwierigkeitsgrade bedienenden Songs zurück.
Regisseurin Heike Werntgen hat ihre Inszenierung auch in den Schauspielszenen im Original belassen. Die Begeisterung ihrer Darsteller*innen überträgt sich durch deren authentisches Zusammenspiel und ihre stimmliche Harmonie vom ersten Ton an aufs Publikum: Die Niederländerin Merel Zeeman ist ein gern gesehener Gast bei den großen Musicalproduktionen und überzeugt hier mit beherrschtem Belt und komödiantischem Talent beim zungenbrechenden "Crossword Puzzle". Krissy Dorn, Kölnerin mit mehrjähriger Musicalerfahrung in Kalifornien, berührt mit ihrem klaren Sopran ("Autumn") und der warme Tenor des Amerikaners in Amsterdam, John Rinaldi, trifft genau die Gefühlslage von Maltbys musikalischer Liebeserklärung an seine Frau ("Barbara"). Und Frans Heemskerk, drückt am Klavier dem Abend nicht nur einen kongenialen Stempel auf, sondern lässt sich auch gern in die Geschichten mit hineinziehen. Genau wie das Publikum, das bei Rinaldis "I don't remember Christmas" am liebsten mitsingen würde und bei der Ensemblenummer "One Step" die Füße nicht mehr stillhalten kann.
'Starting Here, Starting Now‘ ist eine Entdeckung für jeden Musicalfan und macht Lust auf weitere Shows von Maltby & Shire.
aus: musicals – das Musicalmagazin, Heft 220, Aug./Sept. 2023, S. 38.
Bildnachweis: infopress4you.de
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